Winterblues oder Winterdepression?
- Florian Hopfenmüller

- vor 24 Stunden
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Aktualisiert: vor 8 Minuten

Warum die dunkle Jahreszeit uns aufs Gemüt schlägt – und was wirklich hilft
Wenn die Tage kürzer werden, die Temperaturen sinken und das natürliche Licht abnimmt, verändert sich unsere Stimmung. Viele Menschen berichten dann von Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder gedrückter Stimmung – aber nicht alle erleben eine echte Depression.In diesem Beitrag erfährst du, wie man zwischen Winterblues und Winterdepression unterscheidet, welche biologischen und psychologischen Prozesse dahinterstehen und wie wir systemisch darauf reagieren können.
Winterblues – die saisonale Verstimmung
Der Winterblues ist keine Diagnose, sondern eine milde Befindlichkeitsveränderung, die viele Menschen betrifft.Typische Anzeichen sind:
verminderte Energie
gesteigertes Schlafbedürfnis
vermehrter Appetit auf Kohlenhydrate
geringere Motivation
Rückzugstendenzen
Wichtig:Beim Winterblues bleibt die grundsätzliche Funktionsfähigkeit erhalten. Beruf, Familie und soziale Kontakte sind meist weiter möglich – nur eben „schwerer“ als sonst.
Ursachen können sein:
reduzierte Tageslichtmenge
veränderte Struktur im Alltag
mehr Innenräume, weniger Bewegung
Jahreszeitliche Erschöpfung („Endjahresmüdigkeit“)
Winterdepression (SAD) – wenn es mehr ist als ein Stimmungstief
Die Seasonal Affective Disorder (SAD) ist in der ICD-11 und im DSM-5 als depressive Episode mit saisonalem Muster beschrieben.Sie ist medizinisch relevant und klar abgrenzbar vom Winterblues.
Typische Symptome einer Winterdepression
anhaltend gedrückte Stimmung (mind. 2 Wochen)
Interessenverlust und Anhedonie
deutliche Antriebslosigkeit
Hypersomnie (viel Schlaf, trotzdem keine Erholung)
Heißhunger, v. a. auf Kohlenhydrate
sozialer Rückzug
starke Erschöpfung
Wichtige Risikofaktoren
genetische Disposition (familiäre Häufung von Depressionen)
veränderte Melatoninproduktion
Serotonindysregulation (z. B. reduzierte Serotonintransporteraktivität)
erhöhte Lichtempfindlichkeit des circadianen Systems
Vitamin-D-Mangel
Traumata oder chronischer Stress
Frauen sind statistisch deutlich häufiger betroffen – vermutlich aufgrund hormoneller Sensitivität des Stress- und Stimmungssystems.
Systemische Perspektive: Winter als Kontextfaktor
Systemisch betrachtet ist Stimmung eingebettet in Beziehung, Alltag und Umwelt.
Die Wintermonate verändern:
soziale Dynamiken (mehr Rückzug, weniger Kontakt)
Aktivitätsniveau
berufliche und familiäre Belastungen
körperliche Regulation (Schlaf-Wach-Rhythmus)
Dadurch entstehen oft Rückkopplungsschleifen:
Weniger Licht → weniger Aktivität → weniger soziale Kontakte → weniger positive Erfahrungen → gedrückte Stimmung.
Das bedeutet aber auch: Jede Veränderung an einem dieser Punkte kann das gesamte System entlasten.
Was hilft wirklich? – Systemische & evidenzbasierte Strategien
1. Lichttherapie
Eines der wirksamsten Mittel bei SAD.20–40 Minuten täglich mit 10.000 Lux können Symptome deutlich reduzieren.
2. Bewegung – besonders draußen
Schon 20–30 Minuten moderate Bewegung pro Tag stabilisieren Stimmung, Stoffwechsel und Schlaf.
3. Struktur statt Winterschlaf
feste Aufstehzeiten
verbindliche Tagesminiroutinen
soziale Termine im Kalender („Verabredungen mit sich selbst“)
4. Ernährung & Vitamin D
Studien zeigen: Defizite verschlechtern Stimmung und Energie. Medizinisch abklären lassen lohnt sich.
5. Beziehung als Ressource
Systemisch entscheidend:
regelmäßige Kontaktpunkte
gemeinsame Aktivitäten
„Winter-Check-ins“ im Freundes- oder Familiensystem
6. Psychotherapie bei schwereren Verläufen
Besonders bei begleitenden Themen wie:
Hoffnungslosigkeit
Verlust von Freude
starkem Rückzug
Suizidgedanken
Wann sollte man sich Hilfe holen?
Spätestens wenn…
Stimmung über 2 Wochen dauerhaft gedrückt ist
Interessenverlust besteht
Schlaf und Antrieb massiv beeinträchtigt sind
Rückzug und Hoffnungslosigkeit dominieren
…ist professionelle Unterstützung wichtig.
Depression ist keine Schwäche, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung.
Fazit
Winterblues und Winterdepression sind zwei sehr unterschiedliche Phänomene – aber beide verdienen Aufmerksamkeit.
Winterblues ist mild und gut handhabbar, Winterdepression hingegen eine behandlungsbedürftige Störung.
Beziehung, Licht, Bewegung, Struktur und Selbstfürsorge sind zentrale Schutzfaktoren – und aus systemischer Sicht entscheidend, weil kleine Veränderungen im Alltag große Wirkung im Gesamtsystem entfalten können.


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